Manchmal laufe ich weg

Manchmal laufe ich weg.

Ich laufe weg vor Aufgaben, die ich nicht so gerne mache.

Ich finde Ausreden.

Ich finde wichtige Dinge, die vorher erledigt werden müssen.

Ich finde Ablenkungen.

Ich finde Dinge, die nicht vorher erledigt werden müssen.

Und manchmal finde ich nichts, was ich vorschieben könnte…

So ein Mist.

Und eigentlich laufe ich gar nicht so oft vor Dingen weg.

Eigentlich bin ich ein Macher. Eine Macherin.

So sagen es jedenfalls andere über mich.

Doch hier – fällt es mir schwer…

Vor fast zwei Jahren bist Du gegangen.

Und das Haus steht leer.

Doch nicht wirklich.

Es gibt sie noch – die Erinnerungen, die sich in den Räumen stapeln.

Es gibt sie noch – die Möbel, die Du benutztest.

Es gibt sie noch – die Schränke, die immer noch nicht ganz ausgeräumt sind, die Gläser, Besteck und Tupperware in sich tragen und mich langsam rufen, damit ich weitermache…

Weitermachen…

Mit dem Loslassen.

Mit dem Sortieren.

Mit dem Entscheiden – behalten, nicht behalten und den Dingen, die sagen: „Keine Ahnung wohin damit.“

Diese Dinge stehen auf einer Seite Deiner Terrasse.

Auf der anderen Seite, die Dinge die schon sortiert sind.

Heute wäre ich am liebsten wieder weggelaufen.

Weggelaufen –

Zu meiner Arbeit, zu einer Freundin, zum Einkaufen, zu Instagram, oder etwas anderem…

Aber am Freitag wird der Sperrmüll abgeholt

Und so darf es weitergehen.

Also heißt es weitermachen.

Weitermachen mit dem Öffnen von Erinnerungen, weitermachen mit dem Ausräumen und der Energie, die sich einstellt, wenn ich die Dinge in der Hand halte.

Weitermachen mit der Erkenntnis-Du lebst hier nicht mehr. Auf jeden Fall nicht mehr so wie früher.

Heute höre ich Dich, wie Du mir sagst:“ Mädchen, schmeiß das ruhig weg, ich bin hier und brauche es nicht mehr.

Ich höre Dich sagen; „Vielleicht möchten Deine Mädels das noch benutzen – und ich sehe Dich vor mir, wie Du die ein oder andere Sache zum letzten Mal benutzt hast.

Und dann sehe ich mich, wie ich den Teller aus den 70ern in der Hand halte und grinsen muss, weil ich davon als 4-Jährige mein Butterbrot gegessen habe. Die herrlich kitschigen, rot, blau, orangen Blumen am Rand beschreiben das Gefühl von Vintage –, und ich höre die Musik wie sie vom alten Plattenspieler kommt. Das Tonbandgerät, welches von meinem Vater dazu genutzt wurde, unsere Kinderstimmen festzuhalten und ich erinnere mich daran, wie ich laut tönend zu Heinos schwarzbraun ist die Haselnuss gesungen habe… Hach…

Nein – ich laufe nicht weg. Heute nicht.

Heute lasse ich tatsächlich los.

Ich spüre, wie ich immer leichter werde. Der erste Schrank ist abgebaut. Mit jedem Gang zur Straße spüre ich den Rückenwind.

“ Alles hat seine Zeit,“ sagt meine Ma – „Du wirst diesen Raum anders füllen, neu füllen.

Und dafür braucht es jetzt Deinen Mut. Den Mut loszulegen. Den Mut dranzubleiben.

Worauf wartest Du, Mädchen?“

„Ich bin hier…“